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DAN PEARSON

DER WERT DER WILDNIS

TEXT: INA SPERL
FOTO: JÜRGEN BECKER | DESIGN: DAN PEARSON

Auszug aus:

GARTENDESIGN INSPIRATION
Das Magazin für Gartengestaltung und Gartengenuss
Ausgabe 6|2017
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Die Gärten Dan Pearsons sind künstlerisch, aber behutsam gestaltet und greifen den Geist des Ortes auf. Vor allem wirken sie natürlich – für den international gefragten Designer ein Weg, Menschen wieder mit der Wildnis in Berührung zu bringen.

RUHEPOL IM CHELSEA-TRUBEL

Etagenprimeln (Primula beesiana) und Dichternarzissen (Narcissus poeticus ‚Actaea‘) säumen den kleinen Bach. Knabenkraut (Dactylorhiza) und Kuckucksnelken (Lychnis flos-cuculi) wachsen im Gras, weiße Dolden von Baltischer Petersilie (Cenolophium denudatum) umspielen die großen Felsen, die diesen Garten bestimmen. Gelbe Azaleen (Rhododendron luteum) und orangefarbene Türkenbundlilien (Lilium martagon) bringen Akzente in das Grün, das einem verträumten, verwilderten Park gleicht. Eine perfekte Illusion, denn es handelt es sich um den Schaugarten bei der Chelsea Flower Show, für den Dan Pearson und sein Team 2015 nicht nur eine Goldmedaille, sondern auch die Auszeichnung „Best in Show“ erhalten hatten. Der Garten, ein Stückchen des „Trout Stream“ im Park von Chatsworth House, das Dan Pearson nach London geholt hatte, ist eines seiner Meisterstücke – eines unter vielen, die der Designer in seiner Karriere bereits angelegt hat. Seit den 1980er Jahren gestaltet der Brite Gärten, längst ist er einer der gefragtesten Gartendesigner der Gegenwart. Nicht nur, weil seine Pflanzungen, die stets natürlich aussehen, eine Sehnsucht befriedigen. Sondern auch, weil sie sich in den Ort einfügen, als wären sie schon immer dort gewesen. Bestes Beispiel ist der Schaugarten, der 2015 im bunten Chelsea-Trubel wie ein Fels in der Brandung wirkte, ein unaufgeregter, wunderbar ruhiger Ort zum Erholen. Inzwischen wurde er nach Chatsworth zurückgebracht.

Pflanzen als Protagonisten der Inszenierung

Dan Pearson zählt, neben der Wegbereiterin Beth Chatto und dem Designerkollegen Piet Oudolf, zu den führenden Vertretern des New Perennial Movement. Für ihn stehen immer die Pflanzen im Mittelpunkt – „right plant, right place“ ist, wie bei Chatto, das Credo. Nicht rein ästhetisch, sondern auch von ihren Ansprüchen her müssen die Gewächse an einen Ort passen. Die Herangehensweise ist nicht so wissenschaftlich motiviert wie beim New German Style, wo Lebensbereiche klar definiert werden, sondern „romantischer“, wie Pearson sagt. Dennoch entstehen ähnliche Bilder.

Für Dan Pearson sind die Pflanzen die Hauptakteure. Sie lassen Wege und Treppen, Mauern und Möbel zur Kulisse werden. „Plantsman“ seit frühester Kindheit, hat der 53-Jährige ein großes Wissen zusammengetragen, das essenziell ist für seine Arbeit. Als größtes Kompliment empfindet er es, wenn über seine Gärten gesagt wird, dass sie aussähen, als wären sie gar nicht designt. Leicht und mühelos soll eine Gestaltung wirken: Diese Idee hat Pearson vervollkommnet. Allerdings durch einen Perfektionismus, der nichts dem Zufall überlässt. So ließ er seinen Chelsea-Garten bereits vor der Schau in einer Generalprobe komplett aufbauen.

 

Behutsamer Umgang mit dem Gegebenen

Pearson stammt aus Hampshire. Als er zehn Jahre alt war, zog seine Familie in ein Haus mit einem alten, verwilderten Garten. „Das war für mich eine sehr wirkungsvolle Umgebung“, erinnert er sich. Beim Gärtnern machte er schnell die Erfahrung: „Wenn man die Wildnis zu stark bekämpft, schlägt sie umso stärker zurück.“ Öffnete er eine Schneise ins Dickicht, wucherten dort Brennnesseln und Brombeeren, nicht aber die Blumen, die er dort sehen wollte. Eine Lektion, an solche Orte lieber Pflanzen zu setzen, die ohnehin im Schatten wachsen.

Aufgewachsen in einem künstlerischen Elternhaus – der Vater war Maler, die Mutter Textildesignerin –, wollte Dan Pearson zunächst Kunst studieren. Dann folgte er jedoch seinem Herzen: Er ließ sich in Wisley, dem Hauptgarten der Royal Horticultural Society, ausbilden, studierte in den Royal Botanic Gardens in Kew, London. Er ging auf Reisen, besuchte Pflanzen an den Naturstandorten, etwa den Picos de Europa in Spanien oder der Wüste Israels. „Ich hatte die Pflanzengemeinschaften gesehen und wusste, dass ich in Kombinationen pflanzen wollte. Der nächste Schritt war dann, mit Pflanzen zu designen.“ Pearson, dessen Bruder Luke ebenfalls Designer ist und Möbel entwirft, sieht sich als Künstler. Stauden, Gräser und Gehölze sind sein Ausdrucksmittel.

Zu seinen ersten Projekten gehörte in den 1980er-Jahren Home Farm in Northamptonshire, der private Garten von Frances Mossman, Freundin und Kollegin seiner Mutter. Es folgten Torrecchia, sechs Hektar ruinenbestandenes, verwunschenes Land in den Bergen des Appenin, das behutsam in einen Park verwandelt wurde, erste Anlagen in Japan mit der Planung von Grünflächen eines Wohnkomplexes in Tokio. Dan Pearson entwarf den Garten des Maggie’s Centre in London, einem Beratungszentrum für Menschen, die eine Krebsdiagnose erhalten, und er gestaltete einen Teil des Parks von Althorp um, wo Prinzessin Diana begraben liegt.

 

Respektvolle Zähmung statt harter Eingriffe

Sein eigener Garten in London war eine Oase voller erlesener Pflanzen, von denen einige mit nach Somerset umsiedelten, als Pearson und sein Partner Huw Morgan vor einigen Jahren in die Hügel nördlich von Bath zogen. Auf den acht Hektar Land, die ihr Haus umgeben, nimmt sich der Gestalter zurück. Der Ziergarten – voller Stauden mit Wildcharakter – ist verhältnismäßig klein, denn hier soll die Landschaft die entscheidende Rolle spielen. Auf Wegen tritt der Mensch in Beziehung zu den Hügeln, dem Himmel, den Wiesen und Bäumen, Hecken und Flüsschen. Der Eingriff ist minimal. Abgesehen von einem Nuss- und Obstgarten, den Pearson gepflanzt hat, setzt er eher Akzente in Form von ungewöhnlichen Pflanzen: Wo normalerweise gelbe Sumpfschwertlilien wachsen, pflanzt er eine blaue Form (Iris versicolor), die für einen Überraschungseffekt sorgt. Anstatt intensiv zu gärtnern, das Land einem Entwurf unterzuordnen, überlässt er die Bühne der vorgefundenen Natur – in diesem Falle einer bäuerlich geprägten Kulturlandschaft –, die er punktuell verstärkt. „Design erhöht den Geist des Ortes und ermöglicht dem Menschen, Teil davon zu werden“, sagt er. Denn so sehr die Natur auch geschätzt werde: „Sie heißt uns nicht immer willkommen.“ Als Designer zähmt und erhöht er, schafft dem Betrachter, dem Besucher einen Platz darin. In einem klassischen Garten ist der Eingriff größer, in Projekten, wo gestalteter Raum in die Naturlandschaft übergeht, nurmehr angedeutet.

 

Naturerlebnis im urbanen Umfeld

Eines der liebsten Projekte Dan Pearsons ist der Tokachi Millennium Forest in Japan. Auf 240 Hektar Land ließ ein Zeitungsmagnat Wald renaturieren und einen Park anlegen, der 1000 Jahre Bestand haben soll. Pearson wurde nach Japan geholt, um Übergangsflächen vom wilden Wald zur Kulturlandschaft zu gestalten und so den Städtern einen besseren Zugang zur Natur zu ermöglichen. „Natur wird durch Kommerz und Urbanisierung zerstört“, sagt der Designer. „Die Wildnis wird immer wertvoller. Gärten sind eine gute Möglichkeit, Menschen mit diesen wilden Orten zu verbinden.“ Er legte weitläufige Wiesenflächen an, bei denen einheimische Gewächse dadurch aufgewertet werden, dass sie zwischen kultivierten Stauden stehen. Pflanzenunkundige Besucher sollen so ihre Schönheit erkennen können.

In Großbritannien gehören die Gärten von Lowther Castle, einem Schloss im Lake District, zu den aktuellen Projekten. Die jahrhundertealten Anlagen, viele Jahrzehnte vernachlässigt, werden nach einem Masterplan des Dan Pearson Studios restauriert. Ein Parterre-Garten ist entstanden, ein neuer Eingangsbereich mit streng beschnittenen Hainbuchen (Carpinus betulus). Inmitten der Ruinen wogt ein kleines Pflanzenmeer mit kletterndem Geißblatt (Lonicera caprifolium), mit Silberkerzen (Cimicifuga) und Ehrenpreis (Veronica), Gräsern und Kerzenknöterich (Bistorta amplexicaulis).

Auch an der Garden Bridge, die mitten in London entstehen sollte, war Pearson beteiligt. Er hatte die anspruchsvolle Bepflanzung geplant, einen Brückenschlag von der ehemaligen Marschflora am Südufer der Themse bis zum Park voller exotischer Gewächse im Norden. Aus finanziellen Gründen wurde das höchst umstrittene Projekt vom Londoner Bürgermeister Sadiq Kahn inzwischen gestoppt. Ganz neu entstanden in diesem Jahr ist allerdings der Sackler Garden im Garden Museum, Lambeth. Das Museum, das dem Designer 2013 eine eigene Ausstellung widmete, ist in der Kirche St. Mary’s angesiedelt.

üngst hat es einen modernen Neubau erhalten, dessen Innenhof vom Dan Pearson Studio gestaltet wurde. Der alte Kirchhof beherbergt unter anderem die Gräber der beiden John Tradescants: Vater und Sohn waren einflussreiche Pflanzensammler, die im 17. Jahrhundert in Lambeth lebten. Inspiriert von ihrer Geschichte, erschuf Pearson einen Garten mit Pflanzenschätzen aus aller Welt. Hier finden sich Meyer-Zitronen (Citrus × meyeri) aus China, Afghanische Feigen (Ficus Afghanistanica), Japanische Aralien (Aralia elata), der Reispapierbaum (Tetrapanax papyrifer), aber auch Waldastern (Aster
divaricatus) und Wilde Erdbeeren (Fragaria vesca). Wie in einen „Wardian Case“ schaut man aus dem Museum hinein – ein mobiles Treibhaus, in dem im 19. Jahrhundert Pflanzen nach Europa importiert wurden.

 

Digitaler Garten-Genuss

Das Garden Museum liegt nicht weit von Pearsons Studio in Waterloo, das derzeit neun Mitarbeiter beschäftigt. Gemeinsam betreuen sie Projekte in Großbritannien, Japan, China und Hawaii. Der Designer ist auch als Berater gefragt, in Sissinghurst steht er zum Beispiel Chefgärtner Troy Scott-Smith zur Seite, wenn es um Fragen der Neugestaltung geht. Lange Jahre war er auch Kolumnist für den „Daily Telegraph“ und den „Observer“ und hat mehrere Bücher veröffentlicht. Seit knapp zwei Jahren betreiben Dan Pearson und Huw Morgan mit „Dig Delve“ ein eigenes Online-Magazin, in dem sie jede Woche Artikel mit Themen rund um den eigenen Garten publizieren. Fotos und Texte rufen eine Sehnsucht hervor – nach schönen Pflanzen, nach eigener Ernte und Genuss, nach dem Leben auf dem Land. Eine wohlkalkulierte Geste, ist das Magazin doch digitales Aushängeschild des Lebensstils, für den Dan Pearsons Gärten stehen. Hier kann man zuschauen, wie sich seine Pflanzungen entwickeln. Zum Beispiel die wild wirkenden Staudenbeete mit Bronzefenchel (Foeniculum vulgare) und Pfeifengras (Molinia), Engelwurz (Angelica archangelica) und Süßholz (Glycyrrhiza glabra), die sogar im Winter wunderbar aussehen. Alle, die weder den Platz noch die Mittel für solch einen Garten haben, können so immerhin virtuell teilhaben.

 

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