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DER STAMMBAUM DER DÜFTE

DUFTFAMILIEN – TEIL 4: ORIENTALISCHE DÜFTE

TEXT: DR. SUSANNE NIEMUTH-ENGELMANN | FOTO (HEADER):  ©Monica – stock.adobe.com

Auszug aus:

GARTENDESIGN INSPIRATION
Das Magazin für Gartengestaltung und Gartengenuss
Ausgabe 6|2018
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Warm und sinnlich, exotisch, schwer – allesamt Begriffe, die wir mit der Familie der orientalischen Düfte in Verbindung bringen. Was könnte besser in die Adventszeit passen, wenn Weihnachtsmärkte intensive Aromen von Gewürzen wie aus Tausendundeiner Nacht verströmen? Von Ingredienzen, die zu den Geschenken der Heiligen Drei Könige gehörten, wie Myrrhe und Weihrauch. Gold, das dritte Geschenk, steht für Luxus und Opulenz und findet sich oft auf den Flakons und Verpackungen orientalischer Düfte wieder. Auch wir greifen auf der Suche nach einer passenden Weihnachtsgabe gern auf diese Duftfamilie zurück, denn sie passt einfach perfekt in die kalte Jahreszeit.

Ein Raunen ging durch die Duftwelt, als Yves Saint Laurent 1977 sein neues Parfum „Opium“ lancierte. Scandale! So provozierend war lange kein Duft mehr gewesen. „YSL“ hatte das Thema Orient häufig in seinen Kollektionen umgesetzt, doch immer noch fehlte ein passender Duft. So gab er diesen in Auftrag: Wie ein Parfum für die Kaiserin von China sollte er riechen, so seine Vorgabe. Als „Opium“ schließlich auf den Markt kam, waren zahlreiche Auflagen damit verbunden, die man sich heute kaum noch vorstellen kann. So musste in den Vereinigten Staaten ein Gutachten erstellt werden, das versicherte, in dem Parfum seien weder berauschende Substanzen erhalten noch solche, die zum Konsum derselben animierten. In China und den Vereinigten Arabischen Emiraten wurde der Verkauf gleich ganz verboten.

Kaum noch zu glauben scheint so etwas im 21. Jahrhundert, in dem Asien und der Nahe Osten dank Globalisierung und einer wachsenden Mittelschicht auch eine wachsende Nachfrage nach hochwertigen Kosmetikartikeln und Düften verzeichnen. Im arabischen Raum sind schwere, würzige Oud- und Amber-Parfums besonders begehrt; hier haben sie schließlich auch ihre Wurzeln.

 

DIE GRUNDSTOFFE UND IHRE GEWINNUNG

Drei Ingredienzen bilden im Wesentlichen die Grundlage orientalischer Düfte: Harze wie Weihrauch oder Galbanum, die auch wichtiger Bestandteil der holzigen Duftfamilie sind (siehe GDI 5/2018, S. 78 – 83), Gewürze wie Vanille, Thymian oder Wacholder, und animalische Inhaltsstoffe wie Moschus, Amber und Zibet, die – dem Tierschutz sei Dank – heute zumeist im Labor nachgebildet werden. Hölzer und exotische Blüten ergänzen häufig orientalische Parfums und runden sie zu vollendeten Duftkompositionen ab, aus denen Untergruppen wie „holzig-orientalisch“, „orientalisch-pudrig“ oder „orientalisch-floral“ hervorgehen.

 

Gewürze

Die Gewürze, die in orientalischen Duftkompositionen verwendet werden, können pfeffrig und scharf oder balsamisch, schwer und süßlich sein. Es ist leicht nachvollziehbar, dass sich ein Duft durch den Einsatz bestimmter Gewürze radikal verändern und in eine bestimmte Richtung entwickeln lässt.

Zu der ersten Gruppe der scharfen, würzigen Aromen gehören zum Beispiel Ingwer, Pfeffer, Muskat oder Nelke; zur zweiten Gruppe der sanft-süßlichen zählen etwa Zimt oder Vanille, die sich in sehr vielen orientalischen Düften findet. Sie ist ein „Dauerbrenner“ unter den Parfumingredienzen, die große „Nasen“ und Dufthersteller immer wieder zu neuen
Kreationen anregt.

Ein aktuelles Beispiel dafür ist das Eau de Parfum „Dark Vanilla“ aus dem Hause „Urban Scents“, eines Familienunternehmens, das seinen Sitz in Berlin hat und ganz auf traditionelle Herstellung setzt. „Urban Scents“ bezieht seine Rohmaterialien ausschließlich von spezialisierten und unabhängigen Produzenten, viele von ihnen in der Parfumhauptstadt Grasse ansässig. Marie Le Febvre ist die „Nase“ des Hauses. Die begeisterte Fliegerin – das Propellerlogo auf den nachtblauen Flakons ist eine Reminiszenz an ihre Leidenschaft – möchte mit ihrer jüngsten Kreation die sinnlichen und dunklen Akzente der Bourbon-Vanille betonen, die weniger prominent sind als seine lieblich-süßen Noten. Dafür kombinierte sie die Vanille mit holzigem Roiboos, Rosa Pfeffer, Heliotrop und Tonkabohne und schuf so einen vollendeten Duft aus der orientalischen Duftfamilie.

In jüngerer Zeit wird Kurkuma nicht nur als Speisegewürz und zu therapeutischen Zwecken immer beliebter, da ihm eine beruhigende und angstlösende Wirkung nachgesagt wird. Sein warmes, Geborgenheit vermittelndes Aroma macht es auch zu einer geeigneten Zutat orientalischer Parfumkompositionen. So experimentiert die Pariser Parfumeurin Sophie Bruneau mit ihrer Firma „Affinessence“ schon seit Längerem mit der Duft-Wirkung von Kurkuma. Für ihre hauseigene Duftpalette „Notes de Fond“ entwickelte sie 2017 das Parfum „Cuir Kurkuma“, das Ledernoten mit Kurkuma sowie Myrrhe, Sandelholz und Benzoeharz verbindet.

 

Harze

Weihrauch ist genau wie Myrrhe eines jener Harze, die ursprünglich zur rituellen Räucherung in Tempeln verwendet wurden. Vielleicht wurde auch Karl Marx‘ bekanntes Zitat, Religion sei „Opium für das Volk“, durch Geruchserlebnisse in weihrauchgeschwängerter Kirchenluft inspiriert. Unter den natürlichen Duftstoffen eignen sich Harze offenbar besonders gut als Vehikel für das Eintauchen in spirituelle Welten. Diese olfaktorische Verbindung zum „Heiligen“ ist nicht jedermanns Sache, zumal sie in merkwürdigem, wenn auch interessantem Kontrast zur starken Sinnlichkeit steht, die orientalischen Düften nachgesagt wird. Ebenso wie für tierische Duftstoffe gilt auch für Harze, dass es hier sehr auf den maßvollen und vorsichtigen Einsatz ankommt, um einen Duft zu komponieren, der schwer, aber nicht erschlagend, intensiv, aber nicht aufdringlich ist.

Sowohl der Weihrauchbaum (Boswellia) als auch der Myrrhenstrauch (Commiphora myrrha) gehören zur Familie der Balsamgewächse (Burseraceae). Der Weihrauchbaum wächst in den Trockengebieten Indiens, Arabiens und Afrikas. Es handelt sich um einen niedrig wachsenden Baum mit starker Verzweigung, aus dessen Wundsaft Weihrauch erzeugt wird. Damit dieser Wundsaft austritt, schabt man im Frühsommer die Rinde an Stamm und Ästen ab. Die an den „verletzten“ Stellen austretende Flüssigkeit trocknet und wird zu Harz. Dieses Harz hat allerdings noch nicht die gewünschte Qualität, und erst nach zwei weiteren Arbeitsschritten, in denen die Rinde jeweils erneut abgeschabt wird, tritt jene Flüssigkeit aus, aus der schließlich Weihrauch der angestrebten Güte hergestellt werden kann. Die Ausbeute eines mittelgroßen Baumes beträgt pro Saison rund 500 Gramm. Der  Myrrhenstrauch gedeiht ebenfalls in Trockenzonen und hat das gleiche Verbreitungsgebiet wie der Weihrauchbaum. Auch die Gewinnung seines Harzes erfolgt auf dieselbe Weise wie beim Weihrauch, mit dem Unterschied, dass hier ein Arbeitsgang ausreicht, um die gewünschte Harz-Qualität zu bekommen.

Während die Duftwirkung von Weihrauch eher als belebend bis euphorisierend beschrieben wird, besitzt Myrrhe einen beruhigenden, lockernden und entspannenden Charakter.

 

Tierische Duftstoffe

Beschäftigt man sich mit der vielfach geradezu berauschenden Wirkung orientalischer Düfte, so kommt man um ein schwieriges Thema nicht herum: Viele dieser Düfte enthalten Inhaltsstoffe, zu deren Gewinnung in früheren Zeiten Tiere getötet und oftmals auch gequält wurden. So ist beispielsweise Amber (oder Ambra) eine Substanz, die dem  Verdauungstrakt von Walen entnommen wurde. Zibet ist eine Flüssigkeit aus den Analdrüsen der Zibetkatze, Bibergeil oder Castoreum ein Drüsensekret des Bibers. Nicht zu vergessen Moschus, der in besonderem Maße mit der Duftfamilie der orientalischen Parfums in Verbindung gebracht wird und einen charakteristischen aphrodisierenden Geruch verströmt. Seit 1979 ist die Verwendung von echtem Moschus weltweit verboten. Aus gutem Grund: Sage und schreibe 160 Moschushirsche, aus deren Drüsen das Moschussekret stammt, mussten früher sterben, um ein einziges Kilogramm Moschus zu erhalten. Wohl niemand, auch nicht der besessenste Parfumliebhaber, wird eine derart skrupellose Ausbeutung von Tieren unterstützen wollen.

Aber: Auch wenn die animalischen Inhaltsstoffe heute fast immer synthetisch in Chemielabors nachgebildet werden, wäre es unaufrichtig zu behaupten, die Surrogate könnten die Original-Duftstoffe zufriedenstellend ersetzen. Leider ist dies nur selten der Fall. Oft wirken sie ein wenig billig – was sie in der Herstellung auch tatsächlich sind – und schaffen  darüber hinaus neue ökologische Probleme. Da sie aufgrund ihrer geringen Herstellungskosten mittlerweile nicht nur Parfums, sondern auch vielen Haushaltsprodukten wie Reinigungsmitteln und Waschpulvern beigefügt werden, können sie zur Umweltbelastung werden und die Gewässer verschmutzen.

Die erfreuliche Nachricht ist, dass Firmen wie ART PARFUM bereits mit großem Einsatz am Nachbau tierischer Duftstoffe auf Pflanzenbasis arbeiten und viel Aufwand auf der Suche nach Pflanzendüften betreiben, die die tierischen Aromen adäquat ersetzen. So können wir darauf hoffen, dass wir orientalische Parfums in Zukunft auch mit gutem ökologischem Gewissen genießen dürfen – ein wichtiger Gesichtspunkt, nicht nur zur Weihnachtszeit.

 

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