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WUNDERWERK BAUM

BÄUME IN MYTHOLOGIE UND KULTURGESCHICHTE – TEIL 2: DIE KASTANIE

TEXT: DR. SUSANNE NIEMUTH-ENGELMANN | FOTO (Header): ©irynakolesova – stock.adobe.com

Auszug aus:

GARTENDESIGN INSPIRATION
Das Magazin für Gartengestaltung und Gartengenuss
Ausgabe 4|2019
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Sie ist der bayerische Biergartenbaum par excellence: Denken wir an eine traditionelle Einkehr unter Baumkronen, ist es die Kastanie, die sofort vor unserem inneren Auge auftaucht. Im Frühjahr in sanft leuchtendem Grün und voller Knospen, im Sommer in prächtiger roter oder weißer Blüte, später im Jahr mit gelbrot gefärbtem Laub und stacheligen Früchten. Doch seit einigen Jahren ist der beeindruckende Baum, der bisher auch in der Stadtbegrünung so beliebt war, bedroht. „Kastaniensterben“ ist das traurige Stichwort, das sich mit dem weit verbreiteten Garten- und Parkbaum verbindet. Ist die Kastanie noch zu retten?

Kastanie ist nicht gleich Kastanie. Will man den Ursachen für das Kastaniensterben auf den Grund gehen, so muss man zunächst zwischen Gemeiner Rosskastanie (Aesculus hippocastanum) und Edelkastanie (Castanea sativa) unterscheiden. Auch wenn ihre Früchte sich ähneln, sind Ross- und Edelkastanie nicht miteinander verwandt. Die  Rosskastanie gehört zur Familie der Seifenbaumgewächse (Sapindaceae), die Edelkastanie zu der der Buchengewächse (Fagaceae). Beide Baumarten sind gefährdet, doch die Ursachen sind zum Teil unterschiedlicher Art.

DIE ROSSKASTANIE

Der charakteristische Baum unserer heimischen Biergärten ist die Rosskastanie. Sie ist ursprünglich auf dem Balkan zu Hause und wurde im 16. Jahrhundert von dem Botaniker Carolus Clusius über Konstaninopel und Prag nach Wien gebracht, wo man sie erfolgreich aussäte und als Zier- und Alleebaum nachzog. Nur wenige Jahre zuvor hatte der Sonnenkönig Ludwig XIV. bereits in Versailles Zierkastanien gepflanzt, was das kaiserliche Wien unter Zugzwang setzte.

Woher der Name Rosskastanie kommt, ist nicht eindeutig geklärt. Belegt ist aber, dass der Artname „hippocastanum („Pferdekastanie“) bereits in der Antike verwendet wurde. Schon zur Zeit von Horaz und Plinius wurden die Früchte der Kastanie an Pferde verfüttert, wenn diese unter der sogenannten „Dämpfigkeit“ litten (ein Begriff, der Bronchial- und Herzprobleme der Tiere, verbunden mit Husten, bezeichnet). In der Mythologie der griechischen und römischen Antike hingegen spielt die Rosskastanie keine nennenswerte Rolle.

„DU NARRISCHER KASTANIENBAUM … “

Im Wald ist die Rosskastanie nur selten zu finden. Als typischer Stadtbaum prägt sie vielmehr das Bild vieler Großstädte. Charakteristisch ist sie zum Beispiel für das charmante Wiener Park- und Stadtbild und hat darum, neben dem Flieder, auch im traditionellen Wienerlied ihren festen Platz. „Du narrischer Kastanienbaum / du blühst erst im August. / Warum erwacht so spät in dir / des Frühlings Lebenslust?“, heißt es in einem dieser herzzerreißenden Lieder, und natürlich ist die Parallele zum zweiten Frühling und zum schmerzvollen Abschied von der Jugend des Sängers unüberhörbar.

Fakt ist, dass es schon immer Kastanien gab, die neben der Hauptblütezeit im Mai ein zweites Mal im Jahr, nämlich im August, erblühen. Das ist nicht  natürlich.

Fakt ist aber auch, dass die Kastanienblüte im Oktober, wie sie sich in den letzten Jahren häuft, alles andere als normal, vielmehr ein Schutzmechanismus, eine Art „Hilferuf“ der Kastanien ist.

In einem Interview mit der Zeitschrift „Kraut und Rüben“ erklärt Martin Hänsel, Diplom-Forstwirt und stellvertretender Geschäftsführer des BUND Naturschutz in München, das Phänomen: „Die Blüte der Kastanien macht ihr Leid für jedermann offensichtlich. Ihnen geht der Saft aus. Mit dem herbstlichen Blattaustrieb und der Blüte versuchen sie, ein Defizit in der Stoffproduktion aus dem Frühjahr und Sommer auszugleichen. Knospen, die eigentlich erst im nächsten Frühjahr austreiben sollten, werden nun aktiviert. Für die Bäume bringt diese Reaktion allerdings kaum Besserung: Die austreibenden Knospen fehlen im kommenden Frühjahr. Die jetzt gebildeten Triebe können in der Regel nicht mehr verholzen und sterben bei Frost ab.“

Wen wundert es da noch, dass die Rosskastanie aus der Wiener Stadtbegrünung verschwinden soll? Sie sei nicht „stressresistent“ genug, heißt es in einer Stellungnahme des stellvertretenden Chefs des Stadtgartenamts, Joachim Chen.

Schon seit den 1990er-Jahren ist der Rosskastanienbestand im öffentlichen Raum in seiner Gesundheit geschwächt. Schädlinge wie die Kastanienminimiermotte (Cameraria ohridella) und Erkrankungen durch den Befall mit Pilzen und pilzähnlichen Mikroorganismen sind durch die Witterungsextreme der letzten Jahre zusätzlich angestiegen. Vor diesem Szenario erscheint das Auftauchen einer weiteren Bedrohung als geradezu katastrophal: das „Bakterielle Rosskastaniensterben“, verursacht durch das Bakterium Pseudomonas syringae pv. aesculi. Im öffentlichen Grün gibt es bisher keine Möglichkeit, mit  chemischen Pflanzenschutzmitteln gegen den Befall vorzugehen. Nur vorbeugende Maßnahmen und eine engmaschige Kontrolle während der Wachstumsphase können hier die Gefahren eindämmen.

ÖKOLOGISCHE KÜHLUNG

Vorerst prägt die Rosskastanie aber noch das Bild vieler Städte, vor allem im Alpenraum – und vieler ihrer Biergärten. Aus gutem Grund: Zum einen wächst sie sehr schnell und hat große Blätter, die eine Menge Schatten spenden können. Außerdem sieht sie zur Blütezeit einfach umwerfend schön und einladend aus. Ausschlaggebend für ihre traditionelle Anpflanzung in Biergärten war aber ursprünglich, dass die Rosskastanie ein Flachwurzler ist. So können sich ihre Wurzeln oberhalb der Kellergewölbe ausbreiten, in denen das Bier lagert, und zusätzliche Kühlung liefern, ohne diese Gewölbe zu beschädigen. Das Wurzelwerk der Rosskastanie diente also als natürlicher Kühlschrank, lange bevor elektrische Kühlsysteme erfunden wurden.

DIE EDELKASTANIE

Die Edelkastanie, Baum des Jahres 2018, wird auch Esskastanie genannt und ist vor allem in den Regionen südlich der Alpen beheimatet. Weitere Namen für sie sind Kestenenbaum, Kiestebum und Keschde. Im Unterschied zur Rosskastanie hat sie in der antiken Mythologie große Bedeutung und wurde im alten Griechenland als Baum des Zeus hoch verehrt. Bei den Römern wurde aus Zeus Jupiter, die Verbindung zwischen Göttervater und Edelkastanie blieb erhalten. Es gibt sogar eine römische Legende zur Entstehung des Namens „Castanea“: Jupiter wollte die wunderschöne Nymphe Nea verführen, doch das anmutige Wesen tötete lieber sich selbst, als dem Drängen des Olympiers nachzugeben. Dieser wurde von Reue ergriffen und verwandelte Neas Leichnam in einen edlen Baum. „Casta Nea“ wurde dieser genannt, „keusche Nea“.

Eine andere mythologische Bedeutung, die der Kastanie noch heute im Norden Italiens zugeschrieben wird, verweist nicht auf römische, sondern auf die in Norditalien reichlich vorhandenen keltischen Ursprünge. Hier gilt die Edelkastanie als Mittlerin zwischen Mensch und Anderswelt. Vögel, die in ihren Zweigen sitzen, sollen angeblich Botschaften aus dem Zwischenreich weitergeben.

VERBREITUNGSGEBIETE ALS ZIER- UND NUTZPFLANZE

In Deutschland kommt die Edelkastanie vor allem in Weinbaugebieten vor, da sie ein ganzjährig mildes Klima bevorzugt. In Parks und öffentlichen Anlagen ist sie aufgrund ihres aparten Aussehens hier und dort als Zierbaum vertreten. Doch zur Fruchtgewinnung gibt es hierzulande keine größeren Kastanienhaine mehr. Auf der Schweizer Alpensüdseite, im Wallis und im Tessin, sieht es anders aus: Hier findet man ebenso wie in Teilen Frankreichs und Norditaliens noch immer große Anbauflächen mit Esskastanien, sogenannte „Selven“. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts waren ihre Früchte, die Maronen (italienisch: Maroni), dort das Hauptnahrungsmittel der einfachen Landbevölkerung. Nachdem die Ausdehnung der Selven in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg auch in diesen Ländern um bis zu 70 Prozent zurückgegangen war, erleben sie hier in jüngerer Zeit eine regelrechte Renaissance.

Im Zuge der Nachfrage nach ökologisch unbedenklichen, hochwertigen Bio-Lebensmitteln hat man sich mancherorts auf die Verwendung von Kastanienmehl für viele köstliche Speisen besonnen. Es dient als Grundlage für Pasta und Brot ebenso wie für leckeres Süßgebäck. Auch Edelkastanienhonig ist nicht nur bei Öko-Touristen sehr gefragt. Und nach wie vor sind natürlich auch die unverarbeiteten gerösteten Früchte als solche eine beliebte Beilage, zum Beispiel zu Wildgerichten. Gerne werden die heißen Maroni direkt „auf die Hand“ gegessen, so wie wir es von unseren Adventsmärkten kennen.

RINDENKREBS UND SCHÄDLINGE

Während das Bakterielle Rosskastaniensterben die größte Gefahr für den gleichnamigen Baum darstellt, ist die Esskastanie vor allem vom sogenannten  Rindenkrebs“ (Cryphonectria parasitica) bedroht. Es handelt sich dabei um einen Pilz, der durch kleine Risse in die Rinde eindringt und sich von dort aus über den gesamten Baum ausbreitet. Man erkennt ihn an Verlichtungen und Welkesymptomen der äußeren Krone sowie an charakteristischen Veränderungen der Rinde wie orangefarbenen und rötlichen Rindenpartien (Rindenbrand). Ist die Kastanie davon befallen, so besteht das Risiko, dass der Baum komplett abstirbt. Eine Bedrohung, die Ross- und Esskastanie teilen, ist der Befall mit Schädlingen. Die Esskastanie ist dabei vor allem durch die Japanische Esskastanien-Gallwespe (Dryocosmus kuriphilus) und den Späten Kastanienwickler (Cydia splendana) gefährdet. Die Esskastanien-Gallwespe kann Ernteausfälle von bis zu 70 Prozent verursachen. Der Befall mit ihr ist wiederum eine Eintrittspforte für den Rindenkrebs; so schließt sich ein unheilvoller Kreis.

Wie für viele Baumkrankheiten gilt auch für die Kastanie, dass der Klimawandel und die mit ihm auftretenden extremen Wetterereignisse ihre Ausbreitung begünstigen und beschleunigen. Langfristig wird nur eine Verlangsamung des Klimawandels das Kastaniensterben aufhalten können und verhindern, dass der für Mittel- und Südeuropa so charakteristische Baum aus dem Bild unserer Städte und von den Feldern südeuropäischer Landwirtschaftsregionen verschwindet.

 

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