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SCHNEEGLÖCKCHEN – WEISSE SCHÖNHEIT

TEXT: PETRA REIDEL | FOTO (Header): ©nmelnychuk – stock.adobe.com

Auszug aus:

GARTENDESIGN INSPIRATION
Das Magazin für Gartengestaltung und Gartengenuss
Ausgabe 1|2020
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Die fröhlich wippenden weißen Glöckchen erfreuen sich zunehmender Beliebtheit und sind nicht nur bei bekennenden Gartenliebhabern bekannt. Die kleinen braunen, etwa zwei Zentimeter großen Zwiebeln sind prall gefüllte Vorratsspeicher. Die meisten Arten und Sorten zaubern ab Januar ihre grazilen Blütenglöckchen in den Garten. Doch Glöckchen ist nicht gleich Glöckchen, es gibt rund 18 Arten, an die 2.500 Sorten und jede Menge fanatische Sammler. „Galanthophilie“ ist durchaus ansteckend. Die Übertragung dieses Sammlerfiebers erfolgt meist nach dem eingehenden Studium der kleinen, feinen, aber faszinierenden Unterschiede.

Professor Dr. Peter Berthold engagiert sich seit über 60 Jahren im Naturschutz. Den Wissenschaftler, der viele Jahre die Vogelwarte Radolfzell – heute das Max-Planck-Institut für Ornithologie – geleitet hat, lässt das Schicksal der heimischen Vogelwelt nicht los. „Die Vogelwelt ist allgemein im Sinkflug. Seit Beginn des 19.  Jahrhunderts haben wir in Deutschland zirka 80 Prozent der Vogelindividuen verloren“, bedauert der Ornithologe. Dass inzwischen auch Vogelarten wie Braunkehlchen oder Rebhuhn vom Aussterben bedroht sind, ist für den Vogelexperten eine alarmierende Entwicklung. „Der Klimawandel sorgt zwar dafür, dass ein paar Vogelarten wie Silberreiher oder Bienenfresser dazukommen, aber das täuscht nicht über den Habitatsverlust und Nahrungsmangel für viele Vogelarten hinweg“, erklärt der Vogelschützer.

Das Schneeglöckchen ist eine eigene Pflanzengattung innerhalb der Familie der Amaryllisgewächse und gehört zu den ersten Blühern im Vorfrühling. Galanthus nivalis – wie das kleine Schneeglöckchen botanisch bezeichnet wird – und Galanthus elwesii, das großblütige Schneeglöckchen, sind die häufigsten Vertreter ihrer Art. Völlig unverfroren durchstechen die Blätter und Blütenstile die Schneedecke, wenn die ersten Sonnenstrahlen mit milderen Temperaturen zum Blühbeginn locken. Das umgebende Hochblatt schützt dabei anfangs die noch aufrechte Blüte vor allzu strenger Witterung, später hängt das Glöckchen aufgrund des schwachen Stils grazil nach unten.

Bienen und Insekten sind dankbar über das frühe Nektar- und Pollenangebot. „Ich kenne wirklich niemanden, der das Schneeglöckchen nicht mag“, sagt Michael Dreisvogt, leidenschaftlicher Schneeglöckchensammler und Leiter des Arboretum Parks Härle in Bonn-Oberkassel, nach kurzer Überlegung. Irgendwie verknüpfen anscheinend sehr viele Menschen positive Emotionen mit dieser Pflanze“, ergänzt Dreisvogt.

RÖCKCHEN-DESIGN

„Die schicken Frühlingsröckchen der einzelnen Sorten tragen alle ein ganz individuelles Blütendesign“, klärt Dreisvogt auf. Es ist die unglaubliche Vielfalt, die begeistert und bei so manchem Zwiebelfreund die Sammelleidenschaft ins Lodern bringt. „Die Unterschiede sind klein und fein, weit weg von plakativ. Genaues Hinsehen ist gefordert, um die zarten Besonderheiten zu entdecken“, offenbart Dreisvogt. Einige Sorten begeistern mit ihrem gefüllten Auftritt, andere mit besonders großen weißen Glocken.

Die grünen Flecken der inneren Blütenblätter unterscheiden sich in Form und Farbgebung. Spitze, abgerundete, breite und schmale Blütenblätter sind weitere Variationen. Absolut ins Auge fallend sind die gelben Varietäten oder eine gelbe Glöckchenaufhängung. Inzwischen sind selbst Sorten mit sechs gleich großen Blütenblättern (‘E.A. Bowles’), anstatt der üblichen zwei mal drei, auf dem Markt. Auch das Verhältnis von Laub und Blüten ist sehr unterschiedlich, und es gibt noch ein weiteres entscheidendes Merkmal: den Blütezeitpunkt. Dieser beginnt bereits im Oktober mit herbstblühenden Sorten wie Galanthus reginae-olgae und endet im März. Die Hauptblütezeit geht aber  tatsächlich von Januar bis Februar. „Bei 50 der rund 2.500 Schneeglöckchensorten kann selbst ein Laie nach einer kurzen Einführung die optischen Unterschiede rasch erkennen“, verspricht Dreisvogt.

PURE LEIDENSCHAFT

„In mir wurde die Sammelleidenschaft bereits im Mai 1991 bei einem Besuch in England geweckt. Ich kehrte mit zwei ziemlich leer aussehenden Töpfen zurück, in denen sich meine ersten besonderen Schneeglöckchen-Zwiebeln befanden. Diese pflanzte ich in den elterlichen Garten zwischen Farne und Waldlilien (Trillium grandiflorum) – gespannt, was sich im Frühling daraus entwickelt“, erzählt der Schneeglöckchenliebhaber. Die beiden gefüllten Sorten Galanthus ‘Hippolyta’ und ‘Lady Beatrix Stanley’ enttäuschten nicht und zeigten ihre wunderschönen Blüten im nächsten Frühjahr. „Die inneren Blütenblätter sind bei der Sorte ‘Hippolyta’ mit einer relativ großflächigen dunkelgrünen Zeichnung versehen, während sich die äußeren Blütenblätter im voll aufgeblühten Zustand fast waagerecht abspreizen.

Bei ‘Lady Beatrix Stanley’ sind die inneren Blütenblätter dagegen nur mit zwei zarten hellgrünen Dreiecken betupft“, beschreibt Dreisvogt seine ersten beiden Errungenschaften, die die  Leidenschaft bei ihm entfachten. Ein Praktikum beim Schneeglöckchenpapst Joe Sharman ließ die Begeisterung weiterwachsen. „Ich habe Sharman danach bei vielen seiner Galanthus-Galas unterstützt und hieraus hat sich eine bis heute andauernde Freundschaft entwickelt“, verrät Dreisvogt, der seine eigene Sortenvielfalt bei jedem dieser Besuche ausbaute. Schneeglöckchensammler, gerne auch als Galantophile bezeichnet, sind – so Dreisvogts Erfahrungen – sehr nette und großzügige Menschen.

ZWIEBELGESCHICHTEN …

„Viele Sorten wurden per Zufall entdeckt, beispielsweise auf alten Friedhöfen, in der Normandie oder im Wald, wie von Phil Cornish, der sich auf dem Weg über Land verfahren hatte und beim Austreten im Wald tatsächlich über eine neue Sorte gestolpert ist, die dann von ihm benannt wurde“, erzählt Dreisvogt. So hängt an vielen Glöckchen eine ganz besondere Geschichte: Die Sorte ‘Nothing Special’ entstand bei zahlreichen Führungen des britischen Staudengärtners und Schneeglöckchenspezialisten Joe Sharman durch seinen eigenen Garten. Immer wieder wurde er auf dieses sehr ausgewogen  proportionierte Schneeglöckchen angesprochen, das jedoch über keine herausragende Eigenschaft verfügte. Und so wurde aus dem Antwortsatz: „That’s nothing special“ irgendwann der Sortenname ‘Nothing Special’.

WERTVOLLE ZWIEBELN

Die kleinen Zwiebeln vertragen weder Lagerung noch Trockenheit, und das ist auch der Grund, warum man Schneeglöckchen nur im Topf kaufen oder sie sich vom Nachbarn schenken lassen sollte. Wenn die Schneeglöckchen am Abblühen sind, ist dies der beste Zeitpunkt zum Teilen und Verpflanzen. „Ich erkenne die Stellen am gelben Laub und kann die Pflanzen sortenecht vermehren“, so Dreisvogt. Dies ist auch der Grund, warum er Schneeglöckchen immer mit doppelter Sicherung pflanzt – also mit mindestens zwei Etiketten versieht. Eins am Boden des Wasserpflanzentopfs, welcher nicht nur Etikettenträger ist, sondern auch dem Schutz gegen Wühlmäuse dient, und ein weiteres oberirdisches Pflanzenschild direkt neben dem Schneeglöckchentuff. Doch genau dieses ist beim begehrten Glöckchen-Fotoshooting dann schnell mal danebengesteckt, weiß Dreisvogt aus eigener Erfahrung.

Treten die Pflanzen in dicken Tuffs auf, ist dies ein Zeichen, dass sich diese Sorte vor allem durch Brutzwiebeln vermehrt. In diesem Fall hilft dann auch nur die Teilung in kleinere Stücke und die Pflanzung in 5 bis 8 Zentimeter tiefe Pflanzlöcher für eine weitere Vermehrung im Garten. Sorten,  die sich über Samen vermehren, gibt es viel weniger. Hierbei engagiert sich sehr gerne ein kleiner fleißiger Gartenbewohner: Ameisen helfen freiwillig bei der Vermehrung der Samen mit, denn diese besitzen einen angewachsenen Nährkörper, der anscheinend sehr lecker schmeckt. Der eigentliche Samen bleibt nach dem Verzehr auf dem Weg zum Bau meist unbeachtet liegen. „Bei der Aussaat braucht man Geduld, denn bis die Sämlinge zur Blüte kommen, vergehen schon mal drei bis vier Jahre. Das Teilen und somit die vegetative Art der Vermehrung, ist schneller und vielversprechender“, beschreibt der Experte. Besondere Sorten liegen im Preis zwischen 20 und 40 Euro pro Zwiebel. Das bislang teuerste Schneeglöckchen, die Sorte ‘Golden Fleece’, kostete vor Jahren noch 1.000 Euro pro Zwiebel.

SCHNEEGLÖCKCHEN SIND KEINE DIVEN

Diese Zwiebelpflanze mag es feucht, wenn sie im Wachstum ist, in der restlichen Jahreszeit sollte der Boden nicht komplett austrocknen. Zwischen Stauden und Laubgehölzen, die im Frühjahr noch die Sonnenstrahlen durchlassen, fühlt sie sich am wohlsten. „Schneeglöckchen sind keine Diven“, so Dreisvogt, der bei der Pflanzung von neuen Sorten immer zu einem Pflanzplan rät, der zusammen mit der Sammelleidenschaft fortgeführt wird. Wenn die grünen Blätter im zeitigen Frühling schieben, werden die Zwiebeln mit einem schnell wirkenden Dünger versorgt. „Ein Dreimonatsdünger ist ideal, bei  Flüssigdünger sollte alle 14 Tage nachgedüngt werden“, erläutert der Experte. Das macht die Bestände üppiger, und das beim Abblühen sich zurückziehende gelbe Laub ist vom Betrachter geduldig zu ertragen.

Plagegeister, sprich Schädlinge gibt es nicht viele: Zu dichte Bestände können von Botrytis befallen werden, und ab und an treibt die Narzissenfliege ihr Unwesen. Ihre Larven höhlen die Zwiebeln aus und können zu Bestandsrückschlägen führen. Viele Schneeglöckchensorten duften, allerdings ist dieser Duft sehr unterschiedlich in der Intensität. „Stehen die Blüten in Tuffs zusammen, dann ist das Bukett sehr deutlich wahrnehmbar“, so Dreisvogt. Stellt man die Blüten in der Vase ins Warme, entfaltet sich ihr Duft am deutlichsten. Die Sorte ‘S. Arnott’ duftet beispielsweise nach Honig, ‘Gin‘s Imperati’, das sogenannte italienische Schneeglöckchen, punktet dagegen mit kräftigem Bittermandelaroma.

 

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